Sie kennen das vermutlich alle von sich: man kauft ein Buch, fängt an zu lesen - aber bestimmt nicht mit dem Vorwort, das man, weil es üblicherweise auch diverse Danksagungen enthält, mehr als privates Anliegen des Autors betrachtet und nicht als eine persönliche und vielleicht besonders wichtige Botschaft an den Leser.
Spätestens, seit ich selbst Bücher geschrieben habe, hat sich dies bei mir verändert, das heißt, ich interessiere mich bei neuen Büchern jetzt immer sehr für das, was ich über das Buch und über den Autor im Vorwort zusätzlich erfahre. So kam es, dass ich vor ein paar Jahren das schon seit mehr als 20 Jahren in meinem Besitz befindliche "Handbuch der Terrarienkunde" von Paul Heinrich Stettler einmal wieder in die Hand nahm und mir dann (erstmalig!) das Vorwort anschaute. Und dieses hatte es in der Tat in sich und beeindruckte mich nachträglich.
Für die Fertigstellung meines Blog-Beitrags zu dem Pflanzenbuch von Akeret las ich heute noch einmal in dem letzten Interview, das Stettler 2011 gegeben hatte, damals knapp 90-jährig und gut vier Jahre vor seinem Tod. Es wurde im ersten Heft der elaphe 2012 veröffentlicht.
In diesem Interview fand ich beachtlich, dass Stettler dort jedem Leser seines Terrarienbuches ausdrücklich empfiehlt, »unbedingt auch das Vorwort zu lesen dort findet man mein Kredo als Naturfreund, Naturschützer und Terrarianer«.
Weil ich selbst von mir weiß, wie selbstverständlich ich früher immer die Vorworte von Büchern ausgelassen habe, möchte ich dem berechtigten Anliegen von Stettler hier in meinem Blog zusätzlichen Raum geben, in dem ich Ihnen Stettlers Vorwort (aus der dritten Auflage) hier im originalen Wortlaut präsentiere. Es erfolgt nicht mit Genehmigung des Verlages, aber ich denke mit (posthumer) Unterstützung des Autors:
»Die dritte Auflage des Handbuches der Terrarienkunde erscheint in einer Zeit, in der die Lebensgrundlagen des Menschen zunehmend zerstört werden:
  • dort, wo die schützende, wasserspeichernde Pflanzendecke durch Schadstoffbelastungen und Rodungen vernichtet wird,
  • dort, wo durch Entwässerung – zur Erschließung von Kultur- und Bauland – der Grundwasserspiegel verändert wird, und
  • dort, wo die Luft, die Gewässer, der Boden, das Grundwasser und das Meer mit Schadstoffen belastet werden.
"Was hat das alles mit Terraristik zu tun?" Wird der Leser fragen. Sehr viel!
Wir pflegen nämlich unsere "Kulturgüter" – unsere Pflanzen, Lurche und Kriechtiere – nicht bloß zum schöner Wohnen, sondern es gehört zu den Anliegen eines jeden Pflanzen- und Tierfreundes, die Bedingungen zu erforschen, unter denen unsere Pflanzen und Tiere sich vermehren und erhalten lassen und Befürchtungen immer wieder auszusprechen… ich denke dabei an den Arten- und den Umweltschutz. Damit diese nicht nur auf dem Papier bleiben, erachte ich es als dringend notwendig, endlich aus den eingefahrenen Denkgleisen auszubrechen, um die gegenwärtige Umweltschutzpolitik und die kontraproduktive Artenschutzadministration in Frage zu stellen.
Wenn allein in der Schweiz in einem Jahr die Einfuhr von 242.251 ganzen Häuten (116.616 Warane und Tejus, 68.815 Panzerechsen, 56.820 Schlangen) und 85.750 Artikeln aus Reptilienhäuten durch die Artenschutzadministration zugelassen wird, darf ich feststellen, dass dieser Artenschutz völlig unwirksam zur Selbstbestätigung herabsinkt und Daten durch die Artenschutzmühle gedreht werden. Dass so nebenbei im gleichen Jahr noch 160 Tonnen zur menschlichen Ernährung bestimmte, durch das Artenschutzübereinkommen nicht geschützte Seefrösche und 138 Tonnen tischfertige Froschschenkel "registriert" wurden, ist ein pikantes Detail dieser Administration. Noch pikanter wird es, wenn ich demselben Jahresbericht über den Vollzug des Washingtoner Artenschutzübereinkommens entnehme, dass demgegenüber eine für einen Terrarianer bestimmte Dornschwanzechse (Uromastyx) eingezogen, beschlagnahmt und in einem Zoo untergebracht wurde!
Wenn unsere Politiker weiterhin Schlafpillen abgeben, um das Gewissen dieser Gesellschaft zu beruhigen, wenn unsere Politiker den Umweltschutz für sich pachten und weiter ejakulieren, dann sollten wir – alle Pflanzen- und Tierfreunde – etwas tun, sonst werden wir nämlich ebenfalls zu Kosmetikern und zu Trittbrettfahrern auf einem Zug, der auch ohne uns ins Verderben rasen wird.
Das Eindrucksvolle, die Kraft und der teilweise noch intakte Rhythmus der Natur verdrängen die fortschreitende Zerstörung unserer Umwelt in den Köpfen der beziehungsgestörten und konsumhungrigen Menschen. Das bisherige Überdauern der Organismen gilt immer noch als Garant fürs weitere Überleben.
Zu dieser falschen Überlegung kommt der Mensch deshalb, weil er nichts gelernt hat aus den Folgen der einsichtslosen und weltweiten Zerstörung der Lebensgrundlagen durch den Menschen; glücklicherweise gibt es unberufen noch solche, die den Wert der Pflege ihrer natürlichen Umwelt erkannt haben.
Ich erinnere daran, dass von der Zivilisation unberührte Völker diesen Weg seit Jahrtausenden gehen. Hier sollten Pflanzen- und Tierfreunde aufhorchen!
Ich wäre glücklich, wenn die Leser erkennen,
  • dass die lebenserhaltenden ökologischen Verflechtungen gesichert werden müssen,
  • dass die Nutzung der Natur nach den elementaren Umweltgesetzen behütet werden muss,
  • dass das quantitative Wachstum als Lebensstrategie aufgegeben werden muss zu Gunsten von Lebensqualität und Leistungsfähigkeit,
  • dass wir den langfristig in Gang gesetzten Untergang unserer Gesellschaft endlich begreifen, und
  • dass wir folgerichtig daran gehen, eine neue ethische Grundlage aufzubauen, die ein behutsames Nutzen unserer naturgegebenen Güter und ein schonendes Verwalten unserer Umwelt sichert, handle es sich nun um Lebensräume, Rohstoffe, Wasser, Luft oder um die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren.
Taten erreichen wir nicht durch schöne Worte und erbauliche Betrachtungen, sondern durch Engagement und durch Veränderung von uns selbst, indem wir versuchen,
  • durch Solidarität und eine menschliche Kooperation zu einer neuen Einstellung der Natur gegenüber zu gelangen,
  • die Bedingungen erforschen, unter den Pflanzen und Tiere sich vermehren und erhalten lassen,
  • eine biologische Haltung anzustreben, mit dem Ziel, eher wenige Arten möglichst lange Zeit zu pflegen,
  • die Möglichkeiten zu einem freundschaftlichen Erfahrungsaustausch unter Liebhabern auszuschöpfen, an Tagungen, durch Publikationen und durch brieflichen Kontakt mit Pflanzen- und Tierfreunden aus aller Welt."
Paul Heinrich Stettler (1922-2016) im Vorwort der dritten Auflage seines "Handbuch der Terrarienkunde", erschienen 1986 in der Franckh'schen Verlagshandlung, Stuttgart. (Hervorhebung im Original)